Musik und Melancholie im Werk Heimito von Doderers
Martin Brinkmann
Musik und Melancholie im Werk Heimito von Doderers
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Description
Contents
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The present book consists of two parts, thus embodying the “two forces” that Bakhtin sees at play in every work of art: form and content. They are accorded equal weight. With regard to form, the book explores the various literary strategies employed by Doderer in his “Divertimenti,” in as much as they are inspired by musical forms. With regard to content the book focuses on the rather gloomy subjects that dominate the “Divertimenti.” The aim is to explore in how far these two aspects, i.e. musical form – a superstructure informed by musical aesthetics – and melancholic content – an oppressive atmosphere, the explicit foregrounding of experiences of depression – depend on each other. The book shows how they form a compelling whole.It is based on a variety of unpublished primary sources that have not been studied before, including an early fragment of “Divertimento No VI” („Erwachen fröhlicher Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande“) as well as diary sketches and draft outlines of the composition of the work. The book is thus able to comprehensively explore the musical techniques and strategies of musical composition of the “Divertimenti.” This thorough formal analysis provides new insights into what Steven Paul Scher has called an area of “comparative liminality” – that area in which the conditions are negotiated under which musical techniques can be transferred into “literature.”The “Divertimenti” belong to the world of Saturn. By focusing on melancholy and depression – topics that resonate throughout the Divertimenti and provide the dark undertone of the author’s later works – the book offers a new reading of Doderer’s work; it brings to light depictions of “deperceptive” states. This requires a new explanation of Doderer’s own theory of “apperception” and “deperception,” and of “first” and “second reality.” It will be offered in light of Kristeva’s “dark sun.” The book explores depictions of melancholy in a broader context and considers potential links between literary and clinical manifestations of melancholy.In view of the intellectual milieu of contemporary Vienna, the present study shows how deeply indebted Doderer’s early works are to Viennese Modernism – a quality that has been obstructed by the fact that most of these works were only published after Doderer’s death. This presupposes an appreciation of the Wiener Moderne which goes beyond the time span suggested by Gotthart Wunberg’s 1981 anthology, “Die Wiener Moderne. Literatur, Kunst und Musik zwischen 1890 und 1910,” instead drawing inspiration from “Wien 1880-1938. Die fröhliche Apokalypse,” a 1986 exhibition at the Centre Pompidou in Paris which, according to Jacques Le Rider, epitomizes the study of Viennese Modernism.Doderer’s receptivity for the intellectual, theoretical, and artistic movements of the turn of the 20th century is shown to be more pronounced than previously assumed. While the ambition of Doderer’s works ultimately transcends Viennese Modernism, a close exploration of the central tenets of this period can highlight various aspects of his early works, especially his uncompromising will to (musical) form.

Meine Arbeit ist im Wesentlichen zweigeteilt. Jene „zwei Mächte“, als die Bachtin Form und Inhalt des künstlerischen Werks bezeichnet hat, koexistieren in ihr gleichberechtigt nebeneinander. Auf der einen, der formalen Seite, widmet sich meine Studie den spezifischen, durch die Formensprache der Musik inspirierten literarischen Verfahrensweisen der Dodererschen „Divertimenti“. Auf der anderen, der inhaltlichen Seite, befasst sich die Untersuchung mit den überwiegend dunkleren Tönen, die in den „Divertimenti“ angeschlagen werden. Das eigentliche Ziel meiner Arbeit ist es zu klären, inwiefern sich diese beiden Komplexe – musikalische Form (musikalisch ästhetisierte Superstruktur) und melancholischer Inhalt (depressiv getönte Stimmungslage, Thematisierung depressiver Erfahrungen) – wechselseitig bedingen, weshalb sie in den „Divertimenti“ eine derart unwiderstehliche Einheit bilden.Hierbei stützt sich meine Studie auf zahlreiche Materialien aus dem Nachlass, die in der Forschung bisher nicht beachtet wurden. Auf dieser neuen Text- und Materialgrundlage, die vor allem durch das Fragment zu „Divertimento No VI“ („Erwachen fröhlicher Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande“) sowie diaristische Notizen und Kompositionspläne aus dem Skizzenwerk substantiell erweitert wird, spürt die Arbeit den musikalischen Techniken und kompositorischen Strategien der „Divertimenti“ nach. Die auf den Nachlassfunden basierende formale Analyse gewährt tiefe Einblicke in jenes von Steven Paul Scher so bezeichnete „komparatistische Grenzgebiet“, in dem die Konditionen ausgehandelt werden, zu denen ‚literarische‘ Transfers von musikalischen Techniken möglich sind.Die „Divertimenti“ stehen ganz im Zeichen des Saturn. Indem meine Arbeit sich dem Thema Melancholie und Depression widmet, das nicht nur in den „Divertimenti“ ‚anklingt‘, sondern auch das spätere Schaffen des Autors dunkel grundiert, regt sie eine neue, auf die Schilderungen „deperzeptiver“ Zustände gerichtete Lesart des Dodererschen Werkes an. In diesem Zusammenhang ist es nötig, Doderers quasiphilosophische Spezialtheorie, die um die Begriffspaare „Apperzeption“ und „Deperzeption“ sowie „erste“ und „zweite Wirklichkeit“ kreist, sozusagen im Licht der „schwarzen Sonne“ (Julia Kristeva) neu zu betrachten. Auch gibt meine Arbeit einen Überblick darüber, wie sich die Erfahrung der Depression literarisch manifestiert, und sie weicht der Frage nicht aus, ob sich die textlichen Befunde mit der Klinik der Melancholie in Einklang bringen lassen.Bei allem stets das zeitgeistige intellektuelle Milieu Wiens im Blick habend, beabsichtigt meine Arbeit nebenbei zu zeigen, wie tief Doderers größtenteils erst postum veröffentlichtes Frühwerk in der Wiener Moderne verwurzelt ist. Hierbei wird allerdings ein Verständnis der Wiener Moderne vorausgesetzt, das zeitlich weiter reicht, als etwa der Titel der von Gotthart Wunberg 1981 herausgegebenen Anthologie „Die Wiener Moderne. Literatur, Kunst und Musik zwischen 1890 und 1910“ vermuten ließe. Als Anregung diente vielmehr die 1986 im Pariser Centre Pompidou organisierte Ausstellung „Wien 1880-1938. Die fröhliche Apokalypse“, die laut Jacques Le Rider den vorläufigen Höhepunkt der Diskussion um die Wiener Moderne markierte.Doderers große Offenheit für die intellektuellen, wissenschaftlichen und künstlerischen Strömungen der Jahrhundertwende wird in meiner Arbeit in einem bisher nicht gekannten Umfang bloßgelegt. Der Autor geht nicht in allem in der Wiener Moderne auf. Doch werden viele Aspekte seiner frühen literarischen Anstalten, nicht zuletzt der unbedingte Wille zur (in erster Linie musikalischen) Form, vor diesem Hintergrund verständlicher.

Language
German
ISBN
Unknown
Musik und Melancholie im Werk Heimito von Doderers
Cover
Backcover
Impressum
ISBN 978-3-205-78828-7 Web-Link zur Buchdetailseite der Printausgabe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Forschungsstand
3 Die Form
3.1 Literatur und Musik – zwei Partnerkünste
3.1.1 Das „komparatistische Grenzgebiet“
3.2 Doderer und die Musik – eine Beziehung „bis zur Verblödung“
3.2.1 Musikalische Grundausbildung
3.2.2 Frühe Hörerlebnisse
3.2.3 „Held und Mann überhaupt“ – Beethoven als Vorbild
3.2.4 „Diction und […] Haltung“ – der Einfluss Schopenhauers
3.2.5 Die „orphische Macht der Töne“ – Musik als Thema im Werk Heimito von Doderers
3.2.6 Text für Musik – die „Symphonische Phantasie“ „Der Abenteurer“ (1927)
3.2.7 Heimito von Doderer als Musikphilosoph
3.3 Das ‚musikalische‘ Divertimento – eine lästige Angelegenheit
3.4 Das ‚literarische‘ Divertimento – die „erste ‚Mission‘“
3.4.1 „[F]ast mehr die Arbeit eines Musikers“ – zur Genese der Divertimento-Form
3.4.2 „Versuche extremer Art“, kurz  : „Extremas“
3.4.3 Die „‚rhapsodische‘ Probe“
3.5 Zur „Überstruktur“ und „Überstrukturiertheit“ – der theoretische Rahmen
3.5.1 Text als Partitur Teil I – Claude Lévi-Strauss’ Mythenanalyse als Inspirationsmodell
3.5.2 Text als Partitur Teil II – Jürgen Links Lyrikanalyse als Vorbild für die Feinuntersuchung
3.5.3 Literatur als Polyphonie Teil I – Roman Ingardens Schichtenmodell
3.5.4 Literatur als Polyphonie Teil II – Michail Bachtins Karnevalverständnis
4 Der Inhalt
4.1 Depression und Dichtung – zwei Partnerdisziplinen
4.2 Doderer und die Depression
4.2.1 Der „rätselhafte ‚Knick‘ im Gemüt“ – Melancholie und Depression im Leben
4.2.2 Die „leidige[ ], unbegreifliche[ ] Angst“ – das ‚eigentliche‘ Thema Heimito von Doderers
4.3 „Apperzeption“ und „Deperzeption“, „erste“ und „zweite Wirklichkeit“ – Doderers Spezialtheorie, im Licht der ‚schwarzen Sonne‘ neu betrachtet
4.4 Exkurs 1  : Krise des Signifikanten – Doderers frühe Erzählung „Slobedeff“ (1916/17)
4.5 Exkurs 2  : Scheitern des Signifikanten – Nabokovs frühe Erzählung „Entsetzen“ (1926)
5 Die Interpretationen
5.1 „Divertimento No I“ – eine unglückselige Verbindung (1924)
5.2 „Divertimento No II“ – in der andersgeformten Welt (1925)
5.3 „Divertimento No III“ – „Eine Wiederkehr“ (1925/26)
5.4 „Divertimento No IV“ – die Vision von der Apokalypse (1926)
5.5 „Divertimento No V“ – das „Wiener Divertimento“ (1926)
5.6 Divertimento No VI – Klang des Wortes, Worte des Klangs (1926)
5.7 Das „eigentliche ‚Hauptwerk‘“ – „Divertimento No VII  : Die Posaunen von Jericho“ (1951  ; 1955/1958)
6 Die ‚missratenen‘ „Divertimenti“
6.1 „Vorausahnung der Form“ – Doderers „erstes Prosa-Buch“ „Die Bresche“ (1920/21  ; 1924)
6.2 Eine „biographisch zentrierte Sache“ – Das Fragment „Jutta Bamberger“ (1923/24  ; 1968)
6.3 Das ‚erste‘ VII. Divertimento („russ. Div.“) – Der Roman „Das Geheimnis des Reichs“ (1927–29  ; 1930)
6.4 Das ‚zweite‘ VII. Divertimento – Der „Ritter-Roman“ „Das letzte Abenteuer“ (1936  ; 1953)
6.5 Später Nachlass – die Heiligenerzählung „Seraphica“ (1924/25  ; 2009)
7 „Es gibt keine lustige Musik“ – Musik und Melancholie im Werk Heimito von Doderers oder : Zur „Epiphonik“ des österreichischen Erzählers
8 Literaturverzeichnis
8.1 Primärliteratur
8.1.1 Veröffentlichungen Heimito von Doderers (sortiert nach einer Kombination aus Wichtigkeit für die vorliegende Arbeit, Entstehungszeitraum der Texte und Erscheinungsdatum)  :
8.1.2 Unveröffentlichte Notizbücher Heimito von Doderers (sortiert nach den Signaturen der Series nova, unter denen die Dokumente in der Handschriftensammlung der Österreichischen Nationalbibliothek aufbewahrt werden)
8.1.3 Unveröffentlichte Briefe von Heimito von Doderer (zitiert nach Kopien der Originale im Doderer-Archiv des Instituts für Germanistik der Universität Wien  ; in alphabetische Reihenfolge der Empfänger gebracht)  :
8.1.4 Typoskripte aus dem Nachlass Heimito von Doderers (sortiert nach den Signaturen der Series nova, unter denen die Dokumente in der Handschriftensammlung der Österreichischen Nationalbibliothek aufbewahrt werden)  :
8.1.5 Handschriften und Typoskripte aus dem Nachlass Heimito von Doderers (sortiert nach den Inventarisierungsnummern, unter denen die Dokumente in der Wienbibliothek im Rathaus aufbewahrt werden)  :
8.1.6 Nicht in Buchform erschienene Texte und Äußerungen Heimito von Doderers (in der Reihenfolge ihres Erscheinens)  :
8.2 Sekundärliteratur
8.2.1 Sammelbände zu Heimito von Doderer (in der Reihenfolge ihres Erscheinens)
8.2.2 Bücher, Aufsätze und Rezensionen zu Heimito von Doderer (alphabetisch geordnet)
8.3 Andere Literatur
8.4 Nachschlagewerke
8.5 Internetquellen
9 Anhang
9.1 Anhang A  : Legende der Vortragszeichen
9.2 Anhang B  : Detail-Kompositionsskizze zu „Divertimento No III“
9.3 Anhang C  : Gesamt-Kompositionsskizze zu „Divertimento No IV“
9.4 Anhang D  : Detail-Kompositionsskizze zu „Divertimento No IV“
9.5 Anhang E  : Schlussakkord zu „Divertimento No V“
9.6 Anhang F  : Fragment zu „Divertimento No VI“
9.7 Anhang G  : Detail-Kompositionsskizze zu „Divertimento No VI“
9.8 Anhang H  : Tabellarische Erfassung rekurrenter Größen im „Divertimento No IV“
9.9 Anhang I  : Tabellarische Erfassung rekurrenter Größen im „Divertimento No VI“ (inkl. Fragment zu „Divertimento No VI“)
Heimito von Doderer
Namenregister
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